Im Rahmen der Klinikpartnerschaft Solomiya arbeiten 39 deutsch-ukrainische Akteur*innen daran, Trauma- und Notfallmedizin sowie die mentale Gesundheit der Bevölkerung und des medizinischen Personals in der Ukraine zu verbessern.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die medizinische Grundversorgung im Land enorm beeinträchtigt. Zahlreiche Krankenhäuser wurden bombardiert, nahezu 1.000 Gesundheitseinrichtungen sind komplett zerstört. Lebensnotwendige Medikamente und medizinische Ausrüstung können aufgrund der zerstörten Infrastruktur gar nicht oder nur unzureichend geliefert werden.
Auch die Gesundheitsfachkräfte sind betroffen: Kliniken arbeiten derzeit nur mit der Hälfte des medizinischen Personals – viele wurden selbst getötet, schwer verletzt oder sind geflohen, die anderen arbeiten am Rande der körperlichen und mentalen Belastung. Und dass, obwohl die Zahl an Patient*innen rasant steigt.
Depressionen, Burnout, Traumata, posttraumatische Belastungsstörungen – die Liste der psychischen Erkrankungen in der Ukraine ist lang. Die Notwendigkeit, die mentale Gesundheit der Bevölkerung und der Fachkräfte zu schützen, ist groß; bereits jetzt hat sich die Zahl der psychischen Erkrankungen um 70 Prozent erhöht.
Um dem entgegenzuwirken, wurde im Februar 2022 das psychosoziale Hilfsnetzwerk Solomiya („Frieden“) ins Leben gerufen. Mittlerweile arbeiten 39 ukrainische und fünf Institutionen des deutschen Gesundheitswesens unter Koordination der Charité in Berlin daran, die ukrainischen Gesundheitsdienste in den Bereichen psychische Gesundheit, Notfallmedizin und Traumatologie zu stärken.
„Die Menschen wissen nicht, was sie am nächsten Tag erwartet, sie sorgen sich um Angehörige, viele haben alles verloren. Dadurch haben Psychosen, Belastungsstörungen und andere schwere psychische Erkrankungen zugenommen,“ sagt Klinikpartnerin Valentyna Mazhbits, die als promovierte Psychiaterin und Psychotherapeutin an der Charité arbeitet. Mazhbits weiß, wovon sie spricht. Sie selbst floh im März 2022 mit ihren beiden Söhnen aus der Ukraine und engagiert sich seitdem im Solomiya-Hilfsnetzwerk.
„Dieses Programm ist das Beste, was uns in dieser schweren Zeit passieren konnte. Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar die ukrainischen Ärztinnen und Ärzte vor Ort für die Unterstützung sind. Denn die Lage in der Ukraine wird von Tag zu Tag schlimmer“, erklärt sie. „Ich bin sehr froh, dass ich meinem Land auf diese Weise helfen kann.“
Das Projekt setzt sowohl auf Notversorgung und psychosoziale Unterstützung als auch auf telemedizinische Angebote, um noch mehr Patient*innen zu versorgen. Vor allem die psychologische Versorgung der Menschen soll im ukrainischen Kriegsgebiet verbessert werden. Dafür werden Workshops und Trainings angeboten, etwa in psychologischer Erster Hilfe oder zum Thema Staffcare und Burnout-Prävention für medizinisches Personal sowie zur Stärkung der medizinischen Gesundheit von Frauen. In den ukrainischen Kliniken werden aber auch Medikamente und medizinische Hilfsgüter dringend benötigt – daher versucht Solomiya auch diesen akuten Bedarf zu decken.
Über Telemedizin-Angebote lassen sich zudem mehr Patient*innen noch besser versorgen. Insbesondere komplizierte Fälle, für die Expert*innen aus verschiedenen Fachrichtungen benötigt werden, profitieren von Telemedizin, weiß Jan-Patrick Ostrowski, der das Projekt vonseiten des Förderprogramms betreut: „Ganz viel Wissen und Expertise ist ja in der Ukraine vorhanden, aber nicht an jedem Ort. Dann haben sie regelmäßige Patient*innenbesprechungen, wo sich die deutschen Kolleginnen dazuschalten und dann besprechen sie das weitere Vorgehen.“
Der Wissensaustausch setzt sich im Rahmen der Trauma-Schulungen fort. Hier finden zwei- bis dreimal im Jahr Fortbildungen zu spezifischen Themen – Amputation, Quetschverletzungen oder die optimale Prothesenversorgung – statt. Bislang haben bereits 1.500 Personen auf ukrainischer Seite an 13 Schulungen teilgenommen. „Das Interesse ist riesengroß“, sagt Ostrowski.
Solomiya arbeitet auch am Ausbau der digitalen Infrastruktur. Mithilfe der Solomiya-App werden relevante psychologische Bildungsinhalte zur Verfügung gestellt. Eine weitere App bietet Selbsthilfe bei chronischem Stress und Schlafstörungen an. Auch die Entwicklung eines Chatbots ist in Arbeit, um für Menschen auch aus der Ferne psychologische Erste Hilfe leisten zu können. Ein E-Learning-Hub soll darüber hinaus Fortbildungen zu psychischer Gesundheit, Traumatologie, Rehabilitation und chronischen Schmerzen bieten.
„Ich denke, dass die gesamte Gesellschaft Hilfe bei der Aufarbeitung der schrecklichen Erlebnisse brauchen wird. Gegenwärtig sind psychologische Erste Hilfe sowie Unterstützung bei der Bewältigung von Stresssituationen und zur Vermeidung des Burnout-Syndroms wichtig. In Zukunft werden Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich sein, damit sich die Menschen wieder an das zivile Leben anpassen können“, erläutert Valentyna Mazhbits.
Das Team aus deutschen und ukrainischen Fachleuten um Valentyna Mazhbits kann bereits auf einige Meilensteine zurückblicken:
Durch diese gezielte medizinische und psychologische Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung sollen Stress und Trauma frühzeitig erkannt und behandelt werden. Damit erhöht sich die Chance für die Patient*innen, ein möglichst normales Leben nach dem Krieg führen zu können.
Thema: Mentale Gesundheit, Trauma- und Notfallmedizin, Telemedizin
Laufzeit: 01.05.2022 – 31.12.2023
Volumen: 6.200,000 Euro
Partner*innen: 39 Partnerkliniken in der Ukraine | Ministry of Health of Ukraine, Ministry of Veterans Affairs of Ukraine, Bogomolets National Medical University, Kharkiv National Medical University, Institute of Mental Health of Catholic University Lviv and Ukrainian Institute of Cognitive Behavioural Therapy Lviv
Partnerorganisation in Deutschland: Charité – Universitätsmedizin Berlin, BG-Kliniken Frankfurt, ZI Mannheim, LMU München, TU Dresden, Universität Greifswald, Uni Konstanz/Vivo e.V.